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[2021/11/30]

Nur ein dürrer Halbsatz im Koalitionsvertrag

Initiative „Filmerbe in Gefahr” kritisiert leidenschaftslose Aussage zum Filmerbe

30. November 2021. – Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von 2013 war zu lesen: „Unser nationales Filmerbe muss dauerhaft gesichert und auch im digitalen Zeitalter sichtbar bleiben. Es bedarf hierfür neben einer Digitalisierungsförderung des Bundes auch der Beteiligung der Länder und der Filmwirtschaft. Die Stiftung Deutsche Kinemathek ist als eine der zentralen Einrichtungen zur Bewahrung und Zugänglichmachung des deutschen Filmerbes zu stärken. Die Koalition wird auch das Bundesarchiv personell und finanziell stärken.“

Der Koalitionsvertrag von 2017/2018 fasste sich schon kürzer: „Das Förderkonzept zur Digitalisierung des nationalen Filmerbes setzen wir gemeinsam mit den Ländern und der Filmwirtschaft zügig um.“

Im nun vorliegenden Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP heißt es kurz und holprig: „Kinos und Festivals fördern wir verlässlich und bewahren unser nationales Filmerbe.“ Noch dürrer, argumentativ noch ärmlicher, an der Sache noch desinteressierter geht es nicht. Das Filmerbe: ein trauriges Substantiv in einem lustlos angehängten und grammatikalisch schiefen Halbsatz.

Wie konnte es zu diesem Schrumpfungsprozess kommen?

Vor allem: Wie konnte es dazu kommen, dass in diesem Koalitionsvertrag, der von Digitalisierungsbegeisterung nahezu überquillt, die sehr konkreten, bereits angelaufenen, wenngleich schmählich unterfinanzierten Programme zur Digitalisierung des Filmerbes auf der Strecke geblieben sind? Dass sie nicht einmal als Vorhaben Erwähnung finden, geschweige, dass ihre Förderungswürdigkeit hervorgehoben wird?

Wir wissen es nicht und werden es nie erfahren. Was wir wissen, ist: Olaf Scholz, Christian Lindner und die designierte Kulturstaatsministerin Claudia Roth werden von nun an das Filmerbe bewahren. Das versprechen sie uns. Ihre erste Aufgabe wird es sein, sich über die aktuelle Lage zu informieren.

Zurzeit werden die Filme in unseren Filmerbe-Einrichtungen mehr „verwahrt“ als bewahrt, denn zum Bewahren würde es gehören, sich auch um ihre Aufführung und Sichtbarmachung zu bemühen. Dafür fehlt es an Geld wie an ausgebildetem Personal.

Die Archive mit ihrer beschränkten Ausstattung tun ihr Bestes, ihren Filmbestand nach fachlichen Kriterien gesichert zu lagern. Wichtige Ausgangsmaterialien werden nicht mehr kassiert, sondern für die Forschung bereitgehalten. Seit 2019 ermöglicht das Förderprogramm Filmerbe der Filmförderungsanstalt (FAA) die Digitalisierung zahlreicher historischer Filme. Doch dieser Prozess stagniert. Derzeit, so scheint es, ruhen sich alle Beteiligten auf diesem Förderprogramm aus. Da die wissenschaftliche Begleitung zu wünschen übriglässt, weist die Bestimmung dessen, was dem „nationalen" Filmerbe zuzuordnen ist, erhebliche Defizite auf. Auch hier ist festzuhalten: Es fehlt an finanziellen Mitteln ebenso wie an ausgebildetem Personal.

Daneben ist es unbedingt erforderlich, die regulären Etats der Filmerbe-Einrichtungen deutlich aufzustocken, damit sie auch unabhängig von diesen neuen Anforderungen ihre Aufgaben angemessen erfüllen können.

Darüber hinaus ist zu bemängeln: Es fehlt ein kulturpolitisches Konzept für Ideen, wie die neu hergestellten digitalen Benutzerkopien ein filmgeschichtlich interessiertes Publikum erreichen können. Die Zahl der Kinos, die aus eigenem Antrieb die Filmgeschichte pflegen, ist stark zurückgegangen. Neue digitale Zugänge und Präsentationsformen sind erst in Ansätzen erkennbar, werden aber die Zukunft bestimmen. Die Debatte um eine Umorientierung zumindest der kommunalen Kinos hat begonnen. Überlegungen jedoch, wie die digitalisierten Filme – etwa über eine zentrale Plattform im Internet – veröffentlicht werden können, gibt es noch nicht.

Nach den sichtbaren Fortschritten in der „Ära Grütters“ appellieren wir an die Verantwortungsträger unserer neuen Regierung, sich der Herausforderungen, denen die Archive mit der Digitalisierung unseres Filmerbes konfrontiert sind, anzunehmen und die zuständigen Einrichtungen mit Fantasie und Hingabe, aber auch mit den unerlässlichen finanziellen Mitteln zu unterstützen.

Jeanpaul Goergen, Klaus Kreimeier

Berlin, Dezember 2021

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